Schweizer Buchhandels- und
Verlags-Verband SBVV

Newsletter Schweizer Buchhandel
Ausgabe 22/2019 vom 29. Mai 2019

4. 4 Fragen an ...
4. Anne-Sophie Scholl

Sie haben Ihre Kündigung als Literaturredaktorin der AZ Medien auf Facebook und Twitter publik gemacht und als Grund die Rationalisierungswelle im Zug des Joint Venture AZ Medien und NZZ Regionalmedien genannt. Sie gehören zu den profiliertesten Stimmen der Literaturvermittlung in der Schweiz. Kommt das für Sie ebenso überraschend, wie ganz offensichtlich für die riesige Kommentatorenzahl auf Social Media?

Ich hatte um die Höhe meiner Stellenprozente als Literaturredaktorin gebangt. Mit einer Kündigung hatte ich nicht gerechnet, nein. Technische Fragen wie z.B. Dienstalter aber vor allem Geopolitik innerhalb des Joint Ventures waren die Gründe für diese Kündigung. Inhaltliches hat gar keine Rolle gespielt, das war für mich ein Schock. Journalismus braucht eine Identität und profilierte Redaktorinnen, ansonsten schaffen sich die Medien gleich selbst ab. Man kann es als Zeichen lesen, wie schlecht es der Branche geht. Sie steht enorm unter Zeitdruck. Alles dreht sich um den Anschluss an die Digitalisierung.

Es macht fast den Anschein dass ein paar der grossen Schweizer Medienhäuser der Ansicht ist, es genüge wenn Roman Bucheli und Martin Ebel die Print-Literaturvermittlung für die Schweiz abdecken. Frauen kaufen und lesen die meisten Bücher. Empfinden Sie diese Kündigung, so wie ich, in gewisser Hinsicht auch als Genderfrage?

Es ist so, dass deutlich mehr Frauen als Männer Literatur lesen, die Mehrheit der Kritiker aber Männer sind. Männer besprechen und planen deutlich mehr Bücher von Männern, Frauen von Männern und Frauen, das haben verschiedene Studien gezeigt, u.a. eine aktuelle Langzeitstudie an der Uni Innsbruck. Das hat auch Auswirkungen auf die Schreibenden: Für Autorinnen ist es viel schwieriger, Besprechungen ihrer Bücher in den Zeitungen zu erhalten. Weniger oder kürzere Besprechungen heisst weniger Renommee, weniger Preise, weniger Stipendien, weniger Übersetzungslizenzen, also weniger Geld und weniger Möglichkeiten zu schreiben. Das ist fatal, ja. Gerade bei den Autorinnen passiert heute enorm viel, dort liegt viel Potenzial.

Sehr viele Menschen lieben es, zu lesen, trotzdem scheint es den Schweizer Printmedien an Sensibilität für die Büchervermittlung zu mangeln. Was sind, Ihrer Meinung nach, die tieferliegenden Gründe? Mir scheint, gerade heute könnte man mit Bücher-Themen enorm punkten bei den Printmedien, da viele passionierte Zeitungsleser/innen auch Bücherleser/innen sind.

Wer Bücher liest, liest auch Printmedien, das ist so. Aber die Zukunft liegt im Digitalen, gedruckte Zeitungen sind heute schon teilweise dem Online nachgelagert. Die Zahlen der Online-Auswertungen für Literatur, vor allem für Rezensionen sind sehr schlecht, sie werden kaum geklickt, kaum geteilt, kaum kommentiert, lösen keine Debatte aus, haben also wenig Potenzial, Geld über Werbung oder eine Paywall zu generieren — das Finanzierungsproblem ist nicht gelöst. Derweil bricht die Infrastruktur für die Literaturvermittlung weg: das Vertriebsnetz der Zeitungen und die Kompetenz der Redaktionen. Aber die Medienhäuser sind private Unternehmen. Wenn sie Literaturberichterstattung nicht mehr finanzieren können, müssten es andere tun, z.B. Stiftungen oder die staatliche Kulturförderung. Wird Literatur nicht rezipiert, findet sie nicht statt.

Das Echo zu Ihrer Kündigung auf Facebook war überwältigend. Was bedeutet Ihnen das?

Enorm viel. Man liest oft über die Vereinsamung der Nutzerinnen und Nutzer von Social Media. In diesem Fall haben all die Rückmeldungen oder private Nachrichten als Reaktion auf meine Posts verhindert, dass ich in ein Loch gefallen bin, bisher zumindest. Auf gesellschaftlicher Ebene zeigt es, dass die Medien und eine profilierte Kulturberichterstattung vielen Leuten wichtig sind.

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9. 

Anne-Sophie Scholl (links) letzte Woche im Interview mit Reina Gehrig, Leiterin der Solothurner Literaturtage.
Foto: Roland Schmid

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