Newsletter Schweizer Buchhandel
Ausgabe 28/2023 vom 13. Juli 2023
2. Ruth Geigers Abschiedsapéro
2. Santé!
Zwei ehemalige Mitglieder der Landesregierung, Dutzende von Autorinnen und Autoren, darunter einige Weltstars, unzählige Prominente aus dem Schweizer Kulturkuchen und überhaupt tout Zürich kamen am vergangenen Donnerstag, 6. Juli, im Kunsthaus zusammen, um Ruth Geiger zu verabschieden. Man lehnt sich nicht weit aus dem Fenster hinaus, wenn man behauptet: Es gibt wohl rund um den Globus nicht manche Verlags-Pressechefin, zu deren Abschiedsapéro eine derart illustre Gesellschaft aufmarschiert. 36 Jahre lang war Ruth Geiger für Diogenes tätig. Als sie 1987 in den grössten Schweizer Verlag eintrat, sei diese Stelle nur ihre zweite Wahl gewesen, sagte sie in ihrer Abschiedsrede – sie habe eigentlich nach Paris gewollt, zum Centre culturel suisse, jene Stelle aber nicht gekriegt. «Ich hätte nie gedacht, dass einen die zweite Wahl so wahnsinnig glücklich machen kann», resümierte sie. «Ich habe ein so bereicherndes, grossartiges Berufsleben gehabt. Ich hätte nie gedacht, dass das Leben so schön sein kann.»
Ruth Geiger war natürlich stets viel, viel mehr als eine Pressechefin; nicht umsonst wurde sie 2007 in die Geschäftsleitung von Diogenes berufen. Sie war sozusagen die charmante Visitenkarte des Verlags. Autorinnen und Autoren wussten, dass sie mit Ruth Geiger eine unbestechliche – und kämpferische! – Beschützerin hatten, die in wirklich jeder Situation das Optimum für alle herausholte. Und wir Medienleute wussten genauso, dass wir uns voll und ganz auf Ruth Geiger verlassen konnten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie jemals nicht Wort hielt oder dass sie mir jemals eine Neuerscheinung schmackhaft machen wollte, hinter der sie nicht voll und ganz stehen konnte. Ich weiss nicht, wie sie es geschafft hat, sich immer an alles zu erinnern, was wir je miteinander besprochen hatten; dabei war ich doch nur eine kleine Journalistennummer neben all den grossen Kritikerinnen und Kritikern, mit denen sie ein Berufsleben lang zu tun hatte. Der eigens angereiste Starautor Bernhard Schlink drückte es in seiner rührenden Ansprache im Kunsthaus in schönen Worten aus: «Du bist klug, gebildet, erfahren, freundlich, schlagfertig. Was bei dir dazu kommt, ist diese Konzentration auf die Person.» Genau so erging es mir mit Ruth: Nach einem Interview mit Benedict Wells, bei dem sie aufmerksam daneben sass, gab sie mir das Gefühl, der beste Journalist auf Erden zu sein. Davon zehre ich noch heute.
Es heisst ja immer, jeder sei überall ersetzbar. Man hofft tief innen, dass das nicht stimmt, weil es irgendwie deprimierend wäre, man könnte wie ein Playmobil-Männchen einfach unbemerkt ausgewechselt werden. Ruth gibt der Hoffnung nach Einmaligkeit mächtig Auftrieb, denn wohl niemand, der an ihrem Abschiedsapéro dabei war, wird sagen, dass auch sie ersetzbar sei. Sicher, andere können das, was sie machte, auch gut machen, aber so wie sie kann niemand ihre Stelle ausfüllen. Weil sie das mit ihrer ganzen eigenen, starken Persönlichkeit tat. «Du bist eine Marke geworden», sagte dazu Bernhard Schlink.
Vielleicht ist das heute aber auch gar nicht mehr gefragt, so viel Persönlichkeit. Überhaupt scheint der Abschied von Ruth Geiger auch einer von einer Epoche zu sein: als Sorgfalt noch vor Tempo kam, man in den Medien Raum für Tiefe fand und – jetzt klinge ich wie ein alter Mann – einander mit Respekt begegnete, notfalls mit professionellem. Ach, Ruth, jetzt lässt du uns allein! Aber wir alle wünschen dir natürlich viel Spass bei der Verwirklichung deines alten Traums: eines Lebens auf Zeit in Paris, und das an der Sorbonne. Santé!
Marius Leutenegger
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