Schweizer Buchhandels- und
Verlags-Verband SBVV

Newsletter Schweizer Buchhandel
Ausgabe 8/2024 vom 22. Februar 2024

1. Los-Vergabe Pestalozzi-Bibliothek / Petition Unabhängige Zürcher Buchhandlungen
1. Petition mit prominenter Unterstützung

Die Pestalozzi-Bibliothek der Stadt Zürich (PBZ) mit 14 Standorten gab gestern die Zuschläge für die Medienbeschaffung der nächsten fünf Jahre bekannt. Von den 14 thematisch geordneten Losen gingen acht (von 12 definitiv vergebenen) Lose an Orell Füssli Thalia, das ist die grosse Mehrheit. Das Los «Reisen» erhielt der Travel Book Shop, der Zuschlag für die Lose «Bilderbuch» und «Kinderhörmedien» erhielt die Stäheli Interlingua AG (Lesestoff-Gruppe), «Comics Erwachsene, Kinder und Jugendliche» liefert neu gebündelt die Knecht + Co. Comic-Mail in Schwaderloch. Viele der unabhängigen Zürcher Buchhandlungen, die bisher die Pestalozzi-Bibliotheken in ihrem Quartier beliefern konnten, verlieren ihre Aufträge.

Letzten Samstag gingen die 14 unabhängigen Zürcher Buchhandlungen Bodmer, Calligramme, Nievergelt, Hirslanden, Paranoia City, Buchhandlung am Hottingerplatz, Kapitel 10, Kinderbuchladen Zürich, Klio, Mille et deux feuilles, Never Stop Reading, Sec 52, Sphères und Travel Book Shop gemeinsam mit einer Petition an die Öffentlichkeit, die in denn letzten fünf Tagen gegen 5000 Unterschriften erhielt. Zahlreiche Prominente, darunter Kim de l’Horizon, Peter Stamm, Dana Grigorcea, Katja Alves, Franz Hohler und SWIPS-Vorsteherin Annette Beger, unterschrieben als Erstunterzeichnende den politischen Vorstoss der unabhängigen Buchhandlungen gegen die neue Vergabepraxis der städtischen Pestalozzi-Bibliothek, die einen Etat von 3,2 Millionen Franken zu vergeben hat.

Die neue, WTO-konforme Ausschreibung war im November international gemacht worden. PBZ-Direktor Felix Hüppi schreibt beim PBZ-Vergabe-Entscheid von gestern, dass das Gesetz bei einem Auftragsvolumen von jährlich 800’000 Franken keinen Spielraum zulasse. Die Buch-Auswahl für alle 14 Bibliotheken wird künftig ebenfalls von externen Dienstleistern übernommen – und nicht mehr wie bis anhin von den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren vor Ort. Dieser Transformationsprozess von Bibliotheken – Auslagerung der Medienbeschaffung mit Neuausrichtung des Berufsbilds der Bibliotheksmitarbeitenden – ist auch in anderen Kantonen ein Thema. In der Petition der Zürcher unabhängigen Buchhandlungen wird von der Stadt ein Konzept gefordert, das die Vielfalt des Buchhandels erhält oder stärkt statt schwächt.

Im aktuellen Calligramme-Newsletter schreibt Buchhändler Michael Pfister: «In Zeiten von Internethandel, internationalen Ketten und E-Books ist diese Situation für traditionelle Buchhandlungen, die atmosphärische Orte der persönlichen Begegnung und Beratung sein wollen, ein Grund zu grosser Sorge. Dazu kommt, dass die Neuausrichtung der PBZ nur einen weiteren Schritt in einer seit Jahren und Jahrzehnten andauernden Entwicklung darstellt: Auch die Zentralbibliothek und die Bibliotheken von Universität und ETH Zürich haben ihre Aufträge an lokale Buchhandlungen sukzessive reduziert.»

Melina Korros von Paranoia City sagt: «Wir haben keine Eingabe gemacht. Der Vergabeprozess war sehr komplex aufgebaut und das Bewerbungsprozedere sehr aufwändig, zugleich waren unsere Chancen auf ein Los marginal. Die Spiesse waren nicht gleich lang.» In Frage gekommen wäre für die Buchhandlung allenfalls ein Zusammenschluss, um sich gemeinsam auf ein Paket zu bewerben, «aber dafür hätten wir noch mehr Zeit gebraucht.» Das Ergebnis zeige ausserdem, dass allgemeine unabhängige Buchhandlungen es schwer hatten, dem Anforderungskatalog in allen Punkten – Folierung, Auslieferung, Preis – zu genügen. Bisher konnte Paranoia City pro Monat etwa 1000 Franken Umsatz machen mit Bücherlieferungen an die Pestalozzi-Bibliothek, die gerade ums Eck lag; kleinere Aufträge kamen auch von der Bibliothek im Sihl-City im gleichen Quartier. Das wichtige Standbein fällt nun weg. Melina Korros: «Das bedeutet: Wir brauchen neue Grosskundschaft. Es ist eine Hoffnung, dass durch die mediale Aufmerksamkeit der Petition andere Firmen und auch Einzelpersonen darauf aufmerksam werden, was wir als unabhängige Buchhandlung und damit als lokal agierende Partnerin zu bieten haben.»

Andi Pätzold von Kapitel 10 solidarisierte sich mit den anderen unabhängigen Buchhandlungen, obwohl er keine der 14 Pestalozzibibliotheken in der Stadt beliefert. Er sagt: «Es betrifft mich sehr, dass dieser Entscheid eine Gefährdung anderer unabhängiger Buchhandlungen in Zürich darstellt. Ausserdem hat das Auswirkungen auf die ganze Kette, von Buchhandlungen über Auslieferungen bis hin zu Verlagen und Autorinnen und Autoren, wenn nur noch einzelne Anbieter die Auswahl für die Bibliotheken machen.» Bisher wurde die Auswahl der Bücher von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren übernommen, welche die Aufträge an die nachbarschaftlichen Buchhandlungen vergeben haben – beides soll es in Zukunft nicht mehr geben. Die Petition der Buchhandlungen stellt eine andere Ausrichtung zur Diskussion. Andi Pätzold: «Es schauen jetzt alle Bibliotheken nach Zürich. Wenn das nicht einfach schlank durchgeht, wird vielleicht genauer überlegt, wie man eine Ausschreibung machen will und welche Umstrukturierungen sinnvoll sind.» Bei ihm kamen gestern über 30 Kundinnen und Kunden in den Laden, um persönlich die Petition zu unterschreiben.

Der Travel Book Shop, ebenfalls bei der Petition beteiligt, hat eines der 14 Lose erhalten. «Natürlich freuen wir uns über den Zuschlag, er verbessert unsere wirtschaftliche Situation», sagt Inhaberin Regula Weber. «Gleichzeitig sind wir betroffen darüber, dass die anderen unabhängigen Buchhandlungen leer ausgegangen sind.» Für die Buchhandlung sei der Auftrag klar ein Ausbau, da neu alle Filialen der Pestalozzi-Bibliothek beliefert werden können. «Das Folieren ist neu für uns», sagt Regula Weber. «Es wird einige organisatorische Anpassungen brauchen. Wir haben die Möglichkeiten geprüft und trauen uns zu, diesen Mehraufwand im Geschäftsalltag zu integrieren.»

Links:

Petition an die Pestalozzi-Bibliothek Zürich und an Stadt- und Gemeinderat Zürich: «Für die Erhaltung vielfältiger und unabhängiger Buchhandlungen in der Stadt Zürich»

Medienbeschaffung PBZ: «Zuschläge verteilt»

Börsenblatt: «Indie-Buchhandlungen fordern Solidarität von Bibliotheken», 20. Februar

NZZ: «Beliefert bald Amazon die Pestalozzi-Bibliotheken?», 20. Februar

Tages-Anzeiger: «Zürichs Kleinbuchhandlungen erhalten prominente Unterstützung», 19. Februar

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